Bukolische Dichtung (Bukolik, von griechisch βουκόλος boukólos, deutsch ‚Rinderhirte‘) bedeutet „Dichtung, die sich auf das Leben der Rinderhirten (oder, im allgemeineren Sinne, auf Hirten aller Art) bezieht“.

Geschichte

Die Ursprünge der bukolischen Dichtung sind ungewiss. Die ersten überlieferten bukolischen Gedichte stammen von Theokritos, einem sizilisch-griechischen Dichter der hellenistischen Zeit, der in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. lebte. Theokritos’ Idyllen (griechisch Eidyllia, wörtlich „kleine Bildchen“) spielen in der Magna Graecia oder auf Kos und zeichnen sich durch einen mitunter kruden Realismus der Darstellung des Hirtenlebens aus. Sie gelten als Ursprung der Bukolik als literarischer Gattung, die sowohl Elemente des Dramas und des Epos enthält: Vom Epos borgt Theokritos das epische Versmaß, den Hexameter. Die einzelnen Gedichte sind oft als Dialoge zweier Hirten aufgebaut, was der bukolischen Dichtung einen dramatischen Charakter verleiht. Als reizvoll galt die Gattung unter anderem aufgrund der Spannung zwischen ihrem heroischen Versmaß und ihrer Beschreibung alltäglicher Szenen einfacher, „unheroischer“ Menschen.

Schon die antiken Gelehrten machten sich Gedanken über den Ursprung der bukolischen Dichtung, den sie auf eine kultische Tradition unter sizilischen Hirten zurückführten. Demnach hätten die sizilischen Hirten musische Wettstreite (Agone) miteinander geführt, auf die sich Theokritos in seinen Dichtungen bezog. Inwiefern diese späteren Herleitungen, die wohl auf den Theokritos-Kommentar des Grammatikers Theon zurückgehen, der zwei Jahrhunderte nach Theokritos schrieb, historisch glaubwürdig sind, ist in der Forschung umstritten. Zwar wird in diesem Zusammenhang auf den Kult des mythischen Hirtenjungen Daphnis auf Sizilien aufmerksam gemacht, der ein Ursprung des bukolischen Kults sein könnte. Daphnis findet parallele Figuren im griechischen Hirtenjungen Adonis sowie der altorientalischen Figur des Tammuz, die über phönizische Einflüsse nach Sizilien gelangt sein könnte. Andere Forscher betonen jedoch den Unterschied zwischen einer vermeintlichen religiös-kultischen Tradition und der literarischen Gattung der Bukolik, wie sie bei Theokritos und späteren Vertretern deutlich wird, und wollen letztere aus ihrer eigenen, poetischen Logik heraus verstehen. Die Mehrheit der Forscher vertritt die literaturimmanente Sichtweise, eine Minderheit verfolgt den eher religionsgeschichtlichen Ansatz.

Auch Moschos (Mitte 2. Jahrhundert v. Chr.) und Bion von Smyrna (um 100 v. Chr.) schrieben bukolische Gedichte. In der lateinischen Literatur wird die Bukolik von Vergil rezipiert, der den Schauplatz seiner Hirtengedichte (Eklogen) nach Arkadien verlegt. Der Realismus in der Schilderung des Hirtenlebens weicht stellenweise einer Verklärung und Idealisierung desselben als eines (aus der Sicht des Stadtbewohners) idyllischen und sorgenfreien Lebens. Vergils Sichtweise und seine poetischen Techniken haben die europäische nachfolgende Tradition der Gattung maßgeblich geprägt. Spätere Dichter lateinischer Bukolik zur Zeit Kaiser Neros sind Calpurnius Siculus und der anonyme Verfasser der Einsiedler Gedichte. Spätrömische Nachfolger sind Nemesian und Severus Sanctus Endelechius.

Im Zuge der Karolingischen Renaissance tritt Modoinus als Verfasser bukolischer Dichtungen am Hof Kaiser Karls des Großen auf. Im Codex Gaddianus ist ein anonymes Hirtengedicht aus dieser Epoche überliefert (Carmen bucolicum Gaddianum).

Die Bukolik des Renaissance-Humanismus findet bereits in Dante einen wichtigen Vorläufer und in Petrarcas Bucolicum carmen eine erste, noch vielfach unausgereifte Darstellung. Eine bedeutende Erweiterung des bukolischen Personals erfolgt durch den herausragenden Humanisten Jacopo Sannazaro, der in seinen 1526 gedruckten Piscatoriae eclogae erstmals auch Fischer auftreten lässt. Sein wichtigster Beitrag ist jedoch Arcadia (1504), ein Werk, das wegen der Vermischung von Versen und Prosa an der Schwelle zwischen bukolischer Dichtung und Schäferroman steht.

Eine weitere wichtige Weiterentwicklung der bukolischen Dichtung in der Neuzeit stellt die sogenannte Schäferdichtung bzw. Schäferromantik dar. Diese behandelt ebenfalls das ruhige, pastorale Leben der Hirten, wesentlich ist jedoch die Verbindung mit gesellschaftlichen Idealen des Barock. Wichtige Persönlichkeiten wurden unter der „Schäfermaske“ dargestellt und waren nur von Eingeweihten leicht zu erkennen. Ein wesentlicher Vertreter dieser Dichtung ist Friedrich Spee mit seinem lyrischen Hauptwerk Trutznachtigall oder geistlich-poetisch Lustwäldlein. Die Bukolik in Deutschland fand zu einem Höhepunkt in den Schäferdichtungen des Pegnesischen Blumenordens, aus dem Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und besonders Sigmund von Birken als Dichter herausragen.

Das Adjektiv bukolisch wird ebenfalls verwendet, um insbesondere Landschaften als idyllisch zu charakterisieren.

Siehe auch

  • Bukolik in der antiken Kunst

Ausgaben und Übersetzungen

  • Harry C. Schnur (Hrsg.): Die Hirtenflöte. Bukolische Dichtungen von Vergil bis Geßner. Aus dem Lateinischen, Englischen, Französischen, Niederländischen und nach dem Polnischen. Nachwort von Rainer Kößling. Kurzbiographien und Anmerkungen von Harry C. Schnur (= Reclams Universal-Bibliothek, Band 690: Belletristik). Reclam, Leipzig 1978 DNB 780337158.
  • Dietmar Korzeniewski (Hrsg. / Übers.): Hirtengedichte aus neronischer Zeit (= Texte zur Forschung. Bd. 1). WBG, Darmstadt 1971, ISBN 3-534-04627-7
  • Dietmar Korzeniewski (Hrsg. / Übers.): Hirtengedichte aus spätrömischer und karolingischer Zeit (Texte zur Forschung 26). Darmstadt: WBG 1976 (XIV, 148 S.). ISBN 3-534-06829-7

Literatur

  • Renate Böschenstein: Bukolik / Idylle. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 13, Metzler, Stuttgart 1999, ISBN 3-476-01483-5, Sp. 561–568. [zur Wirkungsgeschichte in Mittelalter und Neuzeit].
  • Bernd Effe, Gerhard Binder: Die antike Bukolik. Eine Einführung (= Artemis Einführungen). Artemis, München/Zürich 1989, ISBN 3-7608-1338-0.
  • Marco Fantuzzi, Karl-Heinz Stanzel: Bukolik. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 828–835.
  • Klaus Garber (Hrsg.): Europäische Bukolik und Georgik (= Wege der Forschung. Band 355). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1976, ISBN 3-534-05728-7
  • Joachim Gruber, Günter Bernt, Günter Prinzing: Bukolik. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 2. Artemis & Winkler, München/Zürich 1983, ISBN 3-7608-8902-6, Sp. 909–912. 
  • Robert Kirstein: Junge Hirten und alte Fischer. Die Gedichte 27, 20 und 21 des Corpus Theocriteum (= Texte und Kommentare. Band 29). De Gruyter, Berlin 2007.
  • Georg Knaack: Bukolik. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band III,1, Stuttgart 1897, Sp. 998–1012.
  • Konrad Krautter: Die Renaissance der Bukolik in der lateinischen Literatur des XIV. Jahrhunderts: von Dante bis Petrarca (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Band 65). Fink, München 1983, ISBN 3-7705-2110-2.
  • Günter Wojaczek: Daphnis. Untersuchungen zur griechischen Bukolik (= Beiträge zur klassischen Philologie. Band 34). Hain, Meisenheim am Glan 1969, DNB 458692573 (Dissertation, Universität Köln 1969, 155 Seiten).
  • Astrid Eitel: Die Wiederentdeckung der Bukolik: der Dichterwettstreit zwischen Dante Alighieri und Giovanni del Virgilio. Solivagus, Kiel 2014, ISBN 978-3-943025-15-6.
  • Karin Peters: Con terrible y fiero desear. Bukolisches Pathos in Spanien (1492–1559). Brill/Fink, Paderborn 2022, ISBN 978-3-7705-6802-4.

Weblinks

Anmerkungen


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